Lebensräume
Als Naturkundler fällt es schwer, Bilder nach rein fotographischen Kriterien zu ordnen und zu zeigen. Wie wäre es mit Galerien, die verschiedene Lebensräume, ihre typischen Tiere und Pflanzenarten zeigen?
Nun, hier der erste Versuch... für Waldlebensräume und Halb-Trockenrasen sowie ein paar weitere Landschaften des Nordens. Eingeschlichen hat sich eine Diskussion der Naturgeschichte dieser Lebensräume und was das für den modernen Naturschutz bedeutet.
Von der Idee des geschlossenen Waldes als ursprüngliche Natur -
und ihren Folgen für die Natur
Grundlage für naturschutzfachliches Handeln und vielfach auch heute noch für die Lehre vom Naturschutz ist eine Vielzahl von Klassifizierungssystemen, mit denen versucht werden soll, die Natur zu "ordnen" und auch besser zu verstehen. Diese Systeme haben zumeist gemeinsam, dass sie auf einer minutiösen Erfassung und Gliederung der verschiedenen Vegetationstypen beruhen, die zur Zeit ihrer Erfasser in Mitteleuropa vorzufinden waren.
IIn der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben Vegetationskundler wie Josias Braun-Blanket (1884-1980), Reinhold Tüxen (1899-1980) und Heinz Ellenberg (1913-1997) die Lehre der "Pflanzensoziologie" begründet und unzählige Pflanzengesellschaften beschrieben. Auf dieser Basis entwickelt wurden die modernen Beschreibungen und Definitionen der heutigen Biotoptypen, wie sie z.B. im Kartierschlüssel für Biotoptypen Niedersachsens dokumentiert sind und ständig aktualisiert werden.
Allen diesen Beschreibungen gemeinsam ist aber, dass die Tierwelt bei diesen Beschreibungen "ökologischer Raumeinheiten" oder eben Biotopypen weitgehend unberücksichtigt bleibt und damit auch die Ansprüche der Tierarten und die für ihr Überleben extrem wichtige Konnektivität verschiedenartigster solcher Bereiche. Im heutigen planenden Naturschutz geht es daher zumeist um die Erhaltung von Biotopen im Sinne fein abgegrenzter räumlich anhand der vorkommenden Vegetation definierter Flächen. Die Tierwelt lässt sich aber nur schützen, wenn ihre räumliche Nutzung der Landschaft stärker berücksichtigt wird, da viele Tierarten eine Reihe solcher Biotope in enger räumlichen Durchdringung benötigen. Erste Ansätze (Bildung von Biotopkomplexen und Biotopverbundplanungen) zielen in diese Richtung, sind aber mangels zur Verfügung stehender Flächen, bislang nicht besonders wirksam. Außerdem gibt es für solche Flächen, deren spezielle Lage im Raum ein wichtiger Teil ihrer Qualität ist, zumeist keinen gesetzlichen Schutz.
Dem streng biotopbezogenen Ansatz gegenüber steht die bereits länger entwickelte und auch durch mittlerweile viele entsprechende Projekte erprobte "Megaherbivorentheorie", die den Einfluss großer Weidetiere (über 1t Lebensgewicht) auf die Vegetation beschreibt. In Deutschland unter anderem publik gemacht im Artikel Quarternary Park (BUNZEL-DRÜKE et al. 1994/ABUinfo 17/18, oder auch eingebracht bei SCHOOF et al. 2018: Biodiversität fördern mit Wilden Weiden in der Vision "Wildnisgebiete" der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, Natur und Landschaft 93, Nr. 7: 314-322) um nur zwei Beispiele zu nennen.
Leider wird dieses Konzept noch immer nicht in all seinen Konsequenzen im Naturschutz und seiner Lehre berücksichtigt. Immer noch herrscht die Meinung vor, die ursprüngliche Natur wäre ohne den Einfluss des Menschen vor allem dichter Wald, so wie es einst Ellenberg in seinem Mammutwerk: "Die Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen" schrieb - ein absolutes Standardwerk der Naturkunde. So steht es also bis heute in vielen Lehrbüchern bzw. ehrlicherweise wird es so gelesen. Oft sind die Formulierungen aber eher unscharf und ungenau - und das hat seinen Grund:
Schwierig wird es nämlich, zu erklären, wo die vielen Tagfalter, Wildbienen und andere Insekten, aber auch Reptilien und Offenlandvogelarten und Wiesenpflanzen etc. eigentlich gelebt haben sollen, bevor der Mensch die Landschaft gestaltet hat. Die meisten Arten besiedeln nämlich bevorzugt die fließenden Übergänge zwischen mehreren solcher künstlich abgegrenzten Pflanzengesellschaften und vor allem offene und besonnte Flächen, nicht aber den dichten Wald. Daher "schwächeln" genau an dieser Stelle alle vegetationskundlich begründeten Erklärungen (dichter Wald) für das urpsprüngliche Bild der Landschaft. Sie gestehen halboffenen Landschaftsteilen in der Urlandschaft eher nur kleinflächige Räume zu, etwa in den Auen der Fließgewässer, ansonsten seien im Prinzip alle Offenlandlebensräume Teil der Tätigkeit des Menschen.
Die "Waldtheorie" wird auch durch das Konzept der potentiellen natürlichen Vegetation suggeriert (zementiert), das vielfach heute noch eine von verschiedenen Grundlagen für Naturschutzplanungen ist, und kaum einer Ausarbeitung fehlt. Diese Theorie beschreibt die höchstmöglich entwickelte Vegetation, die sich einstellen würde, wenn schlagartig der Einfluss des Menschen aufhören würde und beantwortet diese Frage in der Regel mit: Wald, jedenfalls an den allermeisten Standorten.
Die Verwendung des Konzeptes als Leitbild der ursprünglichen Natur führt ebenfalls zu der fehlerhaften Schlussfolgerung, dass der geschlossene Wald am ehesten ein Abbild der ursprünglichen Natur wiedergibt. Nur: im geschlossenen Wald können all die Offenlandarten nicht leben!
Wenn also unsere heimische Artenvielfalt schon Jahrhunderttausende vorhanden ist, und es gibt keinen Zweifel daran, woher kommen dann alle diese Arten, deren Reste wir heute mit sehr viel Mühe erhalten wollen? Warum sind dann z.B. alte, nicht industrielle Sandabbauten Hotspots der Biodiversität oder auch Truppenübungsplätze mit ständigen Störungen der Vegetationsentwicklung, alte Weidelandschaften, oder hochdynamische Auenlandschaften, in denen das Hochwasserregime noch intakt ist? Die Antwort auf diese Frage hat weitreichende Folgen für die Art, wie wir Naturschutz umsetzen und was die Grundlagen für Naturschutzplanungen sind.
Viele Tierarten interessieren sich nicht für eine bestimmte Pflanzengesellschaft. Sie sind nur an einer bestimmten strukturellen Ausprägung ihrer Habitate interessiert bzw. daran eng gebunden. Nicht selten sind es die Störstellen in einem Gebiet, die für die Tiere eine große Bedeutung besitzen und gar nicht die eigentlich wertvolle Vegetation bzw. Pflanzengesellschaft. Vielfach werden aber nur die Pflanzengesellschaften erhalten bzw. die Lebensraumtypen der FFH-Richtlinie und dennoch fehlen die Tierarten. So gibt es beispielsweise in Nordrhein-Westfalen noch ca. 40 Standorte von Halb-Trockenrasen. Nur an maximal 4 davon lebt aber der Thymian-Ameisenbläuling (Maculinea arion) noch. An den meisten Standorten fehlt dem Falter die richtige Kleinstruktur aus Rohboden, Raupenfutterpflanzen in der genau richtigen Größe und Verteilung und manch anderes Strukturmerkmal. Der Schutz der Biotope auf der Basis der Pflanzengesellschaften sorgt also nicht automatisch für den Schutz der Tiere. Die Flächen müssen auch bestimmte Strukturmerkmale aufweisen (vielfach Störstellen), ansonsten sterben die Tiere dort aus. Sehr gut haben das zuletzt KUNZ und BROSIG (2021): Entspricht die FFH Richtlinie den Lebensraumansprüchen von Tieren?, Naturschutz und Landschaftsplanung 2021/10), am Beispiel von Tagfaltern analysiert.
Seit einigen Jahrzehnten wächst außerdem die Erkenntnis, dass der dichte Wald wohl eher nicht die flächendeckende "Urnatur" gewesen sein konnte. Viele Autoren, die sich sehr um die Aufklärung der Entstehungsgeschichte der Natur bemüht haben, haben die Geschichte der Landschaft ohne den Einfluss von Tieren "gedacht", die eben diese flächige Bewaldung verhindert haben - von Natur aus. Das wird allerdings erst dann zum Problem, wenn genau diese unvollständige Landschaftsgeschichte zum Leitbild für zukünftige Entwicklungen gemacht wird, worauf z.B. SCHOOF et al. (2018) hinweisen.
Es gibt nämlich nur eine plausible Erklärung für die Entstehung der vielen Arten, die Licht und Strukturvielfalt für ihre Entwicklung brauchen und die alles zusammenbringt. Es muss große offene Lebensräume ohne oder mit geringer Gehölzbedeckung gegeben haben und das Jahrhunderttausende. Das wäre aber nur auf einem Wege möglich:
Riesige Herden großer Weidetiere (und nur die können das) müssen große Teile der Landschaft offen gehalten haben (Megaherbivorentheorie), denn ohne den Einfluss solcher Weidegänger wären tatsächlich Gehölze flächig hochgewachsen und geschlossener Wald hätte tatsächlich dominiert.
Es wird sicher dennoch uralte Wälder gegeben haben und direkt daneben und in enger Durchdringung allerdings riesige offene und halboffene Weidelandschaften.
Und tatsächlich: viele Fossilien beweisen zweierlei. Weltweit haben große Weidetiere die Landschaft geprägt und immer, wenn der Mensch auftauchte, wurden die großen Tiere ausgerottet. In Afrika können noch Teile dieser "Urnatur" angeschaut werden. Hier haben sich Reste der großen Herden der Pflanzenfresser bis heute erhalten (und auch der Räuber...). Überall anders auf der Welt sind diese großen Bestände verschwunden. In Amerika wurden die riesigen Bisonherden (man schätzt 60. Mio. Tiere) fast ausgerottet. Zur Zeit dürfen die Bestände wieder etwas wachsen, sind natürlich Dimensionen von der alten Populationsstärke entfernt.
Wenn das Ausrotten der große Weidetiere aber überall auf der Welt mit dem Erscheinen des Menschen korreliert, warum soll das ausgerechnet in Mitteleuropa nicht auch so gewesen sein? Dann wären also eher halboffene Weidelandschaften mit zahllosen Übergängen zwischen Wald und Wiese ein Großteil der "Urnatur" und nicht allein der dunkle Wald? Waren es eben nicht nur "ein paar" Auerochsen, Pferde, Wisente, Elche usw., sondern Massen von Ihnen, die Mitteleuropa durchstreiften?
Ist das der Grund, warum alte großflächige Weidelandschaften mit Haustieren, wie sie heute noch in der Extremadura oder auch in Rumänien beobachtet werden können (letzte Reste davon) zu den artenreichsten Flächen in Europa überhaupt zählen, weil sie die großflächige extensive Beweidung der Landschaft fortsetzen, nur eben mit Haustieren? Es spricht alles dafür und nichts dagegen. Denn die Größe von Tierpopulationen bemisst sich am Potential der Landschaft (Futterangebot etc.) und an sonst nichts. Das ist vielfach belegt. Es gibt also keinen Grund zu glauben, von Natur aus könnten es nur ein paar wenige Weidegänger gewesen sein.
Die ursprüngliche Landschaft, anders ausgedrückt, die Wildnis, als naturschutzfachliches Ideal für Planungen, wäre dann aber eher eine Weidelandschaft und nicht der dichte Wald! und auch nicht die vielen Kulturbiotope wie z.B. Mähgrünland (das es erst seit ca. 1000 Jahren gibt - (ELLENBERG - Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen).
In einer solch kleinteiligen extrem strukturreichen Weidelandschaft wären viele unserer heutigen Naturschutz-Planungsinstrumente völlig überfordert, z.B. das Konzept der Biotoptypen, da die Vegetationszusammensetzung sich unter dem Zahn des Weideviehs nicht gut in die damals beschriebenen Pflanzengesellschaften einordnen ließe. Durch Beweidung entsteht nämlich ein Mosaik aus verschiedensten Kleinstandorten, dass nicht zu den einheitlichen Pflanzengesellschaften führt, die Grundlage für die Definitionen eines Großteils der Biotoptypen sind. Dies kann auch ein Problem für die Bewertung der FFH-Lebensraumtypen in FFH-Gebieten werden, da sich durch Beweidung der "Erhaltungszustand" der Lebensraumtypen verschlechtern kann. Nur, selbst die FFH-Lebensraumtypen decken oftmals eben nicht die Ansprüche der Tierarten ab, die sie aber schützen sollen. Beispiel: In Auenlandschaften entsteht z.B. durch ganzjährige Beweidung ein Mosaik aus verschiedenartigsten Standorten mit Durchmischung von Pflanzenarten aus verschiedensten Pflanzengesellschaften, dass dann z.B. nicht mehr dem "mesophilen Grünland" - ein Lebensraumtyp der FFH-Richtlinie entspricht - allerdings wesentlich naturnäher ist, aber als "Verschlechterung" gewertet wird (z.B. geschildert in BUNZEL-DRÜCKE et al. (2008 - Wilde Weiden - Praxisleitfaden für die Ganzjahresbeweidung).
Die Klassifizierung der Landschaft in verschiedene Biotoptypen verstellt daher den Blick für die landschaftlichen Zusammenhänge. Es gibt nur einen wirklichen Vorteil dieses Systems. Man kann nun alles schön klassifizieren und flächenscharf abgrenzen - und damit bietet dieses System letztlich Support für die heutige Naturzerstörung. Denn die zwingend erforderliche Konnektivität für die Lebensgemeinschaften geht dabei in der Regel vollends verloren und eben auch meistens die nötige Strukturvielfalt, denn die würde regelmäßige Störungen erfordern, so auch z.B. in der Anwendung der Eingriffsregelung - und das ist gängige Praxis.
Betrachtet man die Ökologie vieler Arten (übrigens auch sehr vieler Pflanzenarten) einmal unter dem Blickwinkel einer Weidelandschaft, dann ergeben unzählige beobachtbare Phänomene auf einmal Sinn. Warum gibt es in Weidelandschaften so viele Pflanzenarten mit Dornen und mit ätherischen Ölen? Sie wehren sich schlicht davor, gefressen zu werden. Diese Abwehrmechanismen sind unter dem Einfluss vieler Weidetiere entstanden! Warum vermehrt sich die Eiche nicht einmal im Eichen(-forst)wald? Sie kann hier von Natur aus nicht gedeihen, sie braucht mehr Licht für Ihre Entwicklung. Sehr gut entwickelt sie sich aber auf extensiven Weiden im Schutze von Dornengebüschen, wo der Häher oder das Eichhörnchen Eicheln versteckt hat (und nicht wiederfand). Warum kommt das Mäuseschwänzchen (eine in Niedersachsen gefährdete Pflanzenart) ausgerechnet im Trittbereich von Viehweiden vor? Sie ist halt zu konkurrenzschwach und benötigt Rohboden für ihre Entwicklung. Dies sind nur sehr wenige Beispiele, die zeigen sollen, dass eben die Störung homogener Flächen Artenvielfalt bringt und nicht die ständige Homogenisierung der Flächen.
Ja selbst die Begeisterung vieler Menschen für parkartiges Gelände mit alten Bäumen ist vielleicht ein Überbleibsel aus der Natur in prähistorischer Zeit. Offenbar ist das parkartige Landschaftsbild, welches in Wilden Weiden automatisch entsteht, genau das, was uns Menschen enorm "triggert".
Auffällig, aber nicht verwunderlich, ist der stetig wachsende Artenreichtum in vielen heutigen Projektgebieten, die unter dem Namen "Wilde Weiden" an vielen Orten entwickelt wurden und werden und in denen sich die Natur vom Menschen weitgehend ungesteuert, aber beeinflusst von verschiedenen Weidegängern, entwickelt (ganz im Gegensatz zu vielen statischen Schutzkonzepten des amtlichen Naturschutzes).
In all diesen Gebieten ist es dasselbe. Auf einmal passt alles zusammen, so eben, wie alles mit allem zusammenhängt. Ohne große Pflege entsteht durch extensive ganzjährige Beweidung enorm artenreiche Landschaften. Auf einmal tauchen im Trittsiegel einer Rinderherde oder auf einem Dunghaufen seltene Flechten und Pilze wieder auf, die lange vermisst wurden usw..
In welchem Schutzgebiet (in denen sich möglichst nichts verändern darf!) ist dagegen in den letzten Jahrzehnten der Artenreichtum mehr geworden, Populationen gewachsen - und das ohne aufwändige und teure Pflegemaßnahmen? meistens besitzt der Naturschutz, sowohl der amtliche als auch der ehrenamtliche gar nicht die Kraft und das Geld, alle Flächen angemessen zu "pflegen". Außerdem ist maschinelle Pflege etwas ganz anderes als z.B. eine naturschutzgerechte Beweidung.
Ganz anders also als durch die klassische Naturschutzpflege, die offensichtlich hier und da auch noch auf Fehlurteilen beruht und einmal vorgefundenes für alle Zeit in diesem Zustand erhalten möchte. Die Natur (ohne Tiere, vor allem ohne Weidetiere) soll sich am besten "ungestört" entwickeln und Weidelandschaften werden nicht als eine Form der "Wildnis" verstanden, sondern als "Kulturlandschaften".
Wahrscheinlich sind aber ganzjährige extensive "Wilde Weiden" am nächsten an einer "echten" Wildnis, näher jedenfalls als die allermeisten Schutzgebiete bzw. die Natur in ihnen. Bereits GEISER (1992) veröffentlicht in den damaligen Laufener Seminarbeiträgen den Beitrag: "Auch ohne Homo sapiens wäre Mitteleuropa von Natur aus eine halboffene Weidelandschaft". Ein Umstand auf den auch REMMERT (1989) in seinem Ökologie-Lehrbuch aufmerksam macht und auch WEIDEMANN (1995) beschreibt in seinem legendären Buch über Tagfalter, zum "Heimatrecht" der Tagfalter, dass "die Weidewälder jener Tage (gemeint ist der Zeitraum bis vor ca. 150 Jahren) der tatsächlichen natürlichen Vegetation sehr viel ähnlicher gewesen sein dürften als mancher heutiger Hochwald".
"Naturschutz aber, der sich im traurigen Verwalten von übriggebliebenen Resten schützenswerter Natur, die gemäht, abgebrannt, ausgebaggert, entbuscht oder auf sonstige Weise künstlich gepflegt werden muss" (Jan Haft 2023 - Wildnis) beschränkt, ist nicht mehr als eine Nachlassverwaltung und, das zeigen viele Studien, er ist oftmals recht erfolglos. Und am Ende jeder Nachlassverwaltung steht regelhaft die "Abwicklung"...
Wir müssen uns also sehr viel mehr trauen, wenn wir "echte Natur" entwickeln wollen - mithin - echte Wildnis: das geht nur mit großen Weidetieren, ob im Wald oder im Offenland. Dies bedeutet auch, dass die Rückkehr des Wolfes aus dieser Perspektive ein wichtiger Beitrag zum Artenreichtum ist, ebenso wie die Rückkehr des Luchs. Trotz aller Probleme, die das mit sich bringt. Schon eine Unterteilung in Offenland und geschlossenen Wald ist vollkommen künstlich. Und die vielen Tierarten lassen sich ohnehin nicht einzelnen Biotptypen zuordnen - Die allein auf dem Vorkommen von Pflanzen beruhende Gliederung der Landschaft mittels der Biotopkartierung bildet daher nur strukturell ein künstliches System in einer künstlichen Induistrielandschaft ab, natürlich mit Ausnahmen. Es ist ein gutes System für unsere Industrielandschaft, um die Reste zu sichern, aber gute Ausprägungen der Vegetation ohne Berücksichtigung der Tierwelt sind eben kein gutes Leitbild für Ziele des Naturschutzes! Das Problem daran ist, es verstellt den Blick für Wege in echten Artenreichtum und ermöglicht in den heutigen Eingriffsbilanzierungen Zerstörungen der Konnektivität zwischen Lebensräumen, die vor allem durch Tiere abzubilden wären. Diese bleiben aber auch hier regelhaft unberücksichtigt.
Nehmen wir diese Erkenntnisse ernst, müssen wir auch darüber nachdenken, ob ein Naturwald ohne große Tiere ein "Naturwald" sein kann, ob ein Nationalpark ohne Wisente, Elche und Hirsche sowie Luchs und Wolf (und Bär) eigentlich "Wildnis" werden kann, ob die scharfen Grenzen zwischen Wald, Acker, Grünland etc. nicht vielleicht ein Problem für die Natur darstellen und warum wir artenreiche alte Hutewälder wie die Sababurg unter Naturschutz stellen (das Ergebnis einer Beweidung) und gleichzeitig die Waldbeweidung in Deutschland verbieten.., weil sie zuviel "Störung" anrichtet. Zumindest in echten Schutzgebieten sollten wir anders vorgehen.
Das System der Biotoptypen auf der Basis von möglichst "ungestörten" Pflanzengesellschaften zementiert also eher die Arbeit im Naturschutz auf möglichst homogen strukturierte räumlichen Einheiten und erklärt diese zur Grundlage naturschutzfachlichen Handelns. Funktionsbeziehungen zu Flächen, die in diesem System gar nicht abgebildet werden, bleiben ebenso unberücksichtigt, wie das für die Fauna und auch sehr viele gefährdete Pflanzenarten erforderliche Vorkommen von Störstellen, Trittstellen, Rohbodenstellen u.a.. So funktioniert es eben nicht und auch darum verringert sich die Biodiversität in ungeheurem Ausmaß.
Natürlich, alles muss mit Bedacht gemacht werden, die notwendige Beweidung muss mit Maß erfolgen, nicht zu viel, nicht zu wenig und dort, wo es möglich ist, weil die Tiere ja nicht mehr ganze Landschaften durchwandern können. Aber sie muss erfolgen, sonst gibt es auf Dauer keine Artenvielfalt. Selbst das museale Erhalten von Biotopen mit im Ergebnis einheitlicher Struktur (wie z.B. die Lüneburger Heideflächen) kann im Einzelfall der richtige Weg sein (Mähen, Baggern,...), z.B. aus wissenschaftlichen oder touristischen Gründen, ist aber keine Lösung als umfassendes Leitbild für Naturschutzhandeln.
Es geht es um die Funktion der großen Tiere in der Natur und die können Haustiere wie Wasserbüffel, Rotes Höhenvieh und andere Rinderrassen auch besetzen - vielleicht nicht so gut wie ihre natürlichen Vorfahren, aber gut genug und auf jeden Fall besser als Mähbalken und Motorsägen. Natürlich ist klar, dass Elefanten und Nashörner, die ebenfalls zur natürlichen Ausstattung gehören würden (und für Mitteleuropa neben vielen weiteren Megaherbivoren prähistorisch nachgewiesen sind), nicht mehr im heutigen Deutschland leben können... wir kommen auch aus den scharfen Grenzen der Nutzungen nicht heraus, aber es ist wichtig zu beachten, was eigentlich notwendig wäre, wenn Gebiete für die Natur gemanagt werden, damit die "industriell geordnete Natur" genausowenig wie der geschlossene Wald oder die "reine Pflanzengesellschaft" mit homogener Struktur auf ganzer Fläche nicht zum Leitbild des Naturschutzes werden.
Wisente, Rinder und Pferde, Wasserbüffel und Rotwild sowie der Elch und ihre Gegenspieler wie Wolf und Luchs gehören unbedingt dazu und haben unsere Landschaften von Natur aus geprägt. Der Biber, wichtiger Landschaftsgestalter der Auen und Sümpfe, ist ja bereits wieder da, welch ein Glück.
"Für die Erstellung von Leitbildern und Zielen
im Naturschutz ist die Frage wichtig, wie die
Naturlandschaft Mitteleuropas aussähe, hätte
der Mensch nicht zahlreiche Großtierarten
ausgerottet oder ihre Bestände dezimiert. Die
größere Ausdehnung dunkler Buchenwälder
im Holozän war nur möglich, weil einige
große Pflanzenfresser bereits vor dem Ende
des Glazials verschwunden waren.
Unter natürlichen Bedingungen gestalten die
großen Pflanzenfresser Lebensräume für an-
dere Arten und ganze Landschaften. Die Her-
bivorie muss daher im Naturschutz als we-
sentlicher Prozess in mitteleuropäischen
Ökosystemen berücksichtigt werden" (BUNZEL-DRÜCKE et al. in " WIESBAUER (Hrsg.):Die Steppe lebt".
Die Arten, die sich in unserer Landschaft entwickelt haben, haben den Einfluss der Beweidung nicht vergessen und sind bestens an diese großen Weidetiere angepasst - im Gegenteil - ohne die Weidetiere haben viele der heimischen Arten keine Chance zu überleben. Schälschäden im Wald, Trittschäden am Ufer von Gewässern, Betreten von Amphibienteichen durch Weidetiere und viele andere Spuren von Weidegängern sollten vor diesem Hintergrund mindestens in Schutzgebieten nicht als "Schäden" beurteilt werden und nicht als Problem für die Natur, sondern als natürliche und wichtige Kleinstrukturen.
Schafe dagegen fehlen übrigens in der fossilen Überlieferung vergangener Jahrhunderttausende. Ihr heutiger Einsatz im Naturschutz kann daher oftmals eher ein Problem für die Artenvielfalt werden. Ein Beispiel dafür sind die Heideflächen der Lüneburger Heide, ein Magnet für den Tourismus (2019/20 fast 7. Mio. Übernachtungen, Tendenz steigend) und für viele Sinnbild einer naturnahen Landschaft, schafbeweidet. Die Heideflächen sind aber nahezu reptilienfrei und aufgrund der Strukturarmut und intensiven Nutzungzwar sehr schöne, aber eben ziemlich artenarme Flächen, solange sie auf Tourismus (Heideblüte) getrimmt werden. Sie sind aus vielen Gründen enorm wichtig, aber eben nicht unbedingt gute Beispiele für wilde Natur.
Der Naturschutz muss sich also trauen, die Ketten des "tierlosen" Naturschutzplanens zu sprengen, sonst wird es auf Dauer mit dem Schutz der Natur und der Vielfalt der Arten nichts.
Das System der Biotoptypen muss gewertet werden als das, was es ist. Ein Abbild der heutigen Landschaftsgliederung, entstanden und geprägt von einer Nutzung ohne den Einfluss von großen Pflanzenfressern und dass ist keine gute alleinige Grundlage für die Erhaltung der Artenvielfalt. Ohne Berücksichtigung der zahllosen Funktionsbeziehungen der Tierwelt, die immer Flächen verbinden, ja teils ganze Landschaftsräume, und ohne ihre gestalterische Kraft ist der Schutz der Biodiversität nicht zu erreichen. Biotopschutz auf kleiner Fläche und ohne die Tiere ist so etwas wie der Schutz einer Bibliothek ohne Bücher. Extensive Weidelandschaften sind dabei möglicherweise der echten Wildnis näher als so mancher Nationalpark (wenn dort keine großen Weidetiere leben) und so manches Naturschutzgebiet. "Schädlinge" wie Borkenkäfer sind daher in Schutzgebieten als das zu sehen, was sie sind: Gestalter der Natur - Starter einer neuen naturnahen Waldentwicklung.
Man stelle sich ein Netz von Biotopverbundflächen in Deutschland vor, von großen Weidetieren gestaltet und dazu ein Netz von ungestörten Auenlandschaften, natürlich ebenfalls mitgestaltet von den Weidetieren. Was für ein Biodiversitätsbooster. Jetzt noch die Pestizide weg...
Ein Blick in eine neue Welt mit wirklicher Umkehr des Biodiversitätsdesasters und positiven Auswirkungen auch auf das Klima. Zum Glück gibt es immer mehr "Wilde Weiden".
Umfangreiche Literaturquellen werden gerne bereitgestellt - Stand: 10.06.2024