Halb-Trockenrasen
Dieser Titel muss erklärt werden! Echte Trockenrasen nennt man Flächen, auf denen Gräser und Kräuter wachsen und die so trocken sind, dass größere Gehölze nicht gedeihen können. Halb-Trockenrasen sind Flächen, auf denen durch jahrhundertelange Beweidung, meistens durch Rinder und Pferde (nicht etwa nur durch Schafe!) ebenfalls keine Gehölze wachsen, da die Tiere dafür sorgen, dass sie abgefressen werden; allerdings eben nur solange, wie die Beweidung anhält. Da dies zumeist auf steilen, wenig produktiven Standorten geschah, also an steilen Hängen, die über eine sehr geringe Bodenauflage verfügen und nicht gedüngt wurden, haben sich hier über die Zeit ausgesprochen nährstoffarme Standorte und darauf artenreiche Lebensgemeinschaften erhalten. Zahlreiche Schmetterlinge, Orchideen, Reptilien, Wildbienen und viele weitere Arten haben hier ein letztes Refugium in unserer Industrielandschaft. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie in der hochgedüngten und weitgehend totgespritzen und ausgeräumten Agrarlandschaft nicht (mehr) überleben können und ihr Vorkommen daher auf diese Standorte begrenzt ist und leider ist diesen Flächen auch gemeinsam, dass nur mehr kaum jemand vom Ertrag leben kann. Das System der Landwirtschaft und sein riesiger Subventionsbetrieb ist nicht an der Entwicklung und Erhaltung kleiner Betriebe und erst recht nicht an der Erhaltung wenig ertragreicher Landschaftsteile interessiert. Von den ehemals großen und landschaftsprägenden Weidelandschaften an den Hängen der Mittelgebirge sind daher viele Standorte mittlerweile aufgeforstet oder eben einfach zugewachsen.
In Niedersachsen waren mit Stand 1982 noch 767 ha verteilt auf 145 Gebiete an Halb-Trockenrasen registriert (NATURSCHUTZATLAS NIEDERSACHSEN 1984) , davon 125 Gebiete kleiner als 10 ha. Das aktuelle Zielkonzept für FFH-Lebensraumtypen in Niedersachsen weist noch einen Gesamtbestand von 430 ha aus, davon 308 ha in FFH-Gebieten (Informationsdienst Naturschtz Niedersachsen 3/2023). Mit Stand 2022 wurden in den Vollzugshinweisen der Niedersächsischen Artenschutzstrategie (NLWKN, Stand 2022) noch 476 ha angegeben.
Seit 1984 hat sich also der Bestand nahezu halbiert! Es sind also einige wenige übrig geblieben und sie werden zumeist mit großem Idealismus von Gehölzen freigehalten, sonst würden sie zuwachsen und ihre Artenvielfalt vollends verlieren.
Diese Rest-Flächen, meistens als Naturschutzgebiet gesichert, mit ihrer Artenvielfalt zu erhalten, ist nicht einfach und es gibt hier zahlreiche Probleme mit der Erhaltung.
Beweidung
Bei Halb-Trockenrasen gibt es vordergründig ein Ziel: Offenhalten, damit nicht alles zuwächst. Einfach "offenhalten" und Gehölze zurückdrängen, reicht aber meist nicht aus. Viele der bedrohten Tierarten der Halb-Trockenrasen benötigen eine sehr heterogene Vegetationsstruktur.
Keinesfalls dürfen die Einzelflächen jedes Jahr vollständig beweidet werden, gleich von welchem Weidetier. Denn viele Insektenarten können sich dann nicht erfolgreich entwickeln und die Gefahr, dass nur noch lokal vorkommende Arten durch die Beweidung aussterben, ist real.
Zeitpunkt, Umfang, Dauer und Weidetierauswahl sind daher von großer Bedeutung für den Erfolg. Egal mit welcher Tierart beweidet wird. Es kommt auf ein sehr differenziertes Beweidungsregime an, will man die Halb-Trockenrasen als Hotspot der Biodiversität erhalten. Das heißt ohne Beweidung geht es nicht, aber Beweidung kann auch zum Aussterben von Arten beitragen. So sind z.B. die bekannten Vorkommen des Kreuzenzian-Ameisenbläulings (Maculinea alcon ssp. rebeli) und des Quendel-Ameisenbläulings (Maculinea arion), absolut typische Arten der Halb-Trockenrasen und beide Zielarten der FFH-Richtlinie, mittlerweile von 5 auf 2 bzw. von 30 auf 3 Vorkommen in Niedersachsen zusammengeschmolzen (NLWKN/Vollzugshinweise mit Stand 2011). Selbst, wenn noch einige Flächen dieses Lebensraumes in Niedersachsen vorhanden sind. Das gilt für die an solche Landschaften gebundene Tierwelt eben nicht mehr - viele Arten dieser Lebensgemeinschaften sind bereits erloschen oder stehen kurz vor dem Aussterben. Dies ist ein Phänomen, dass mittlerweile in vielen Lebensräumen zu beobachten ist.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch eine nicht angepasste, Pflege, die diese besonderen Tierarten außer Acht gelassen hat, an einigen Standorten zum Verschwinden der Art geführt hat. Es zeigt jedoch sicher, dass die "übliche" Pflege, z.B. durch Beweidung mit Schafen und Ziegen sehr bewusst durchgeführt werden muss.
Diese heute noch vorhandenen Gebiete sind aber durch viele weitere Faktoren gefährdet, die bei einer Beweidung ebenfalls gemanagt werden müssen:
Ausbreitung der Aufrechten Trespe
Seit etwa 100 Jahren hat sich die Aufrechte Trespe (Bromus erectus) auf den Halb-Trockenrasen ausgebreitet - und bildet heute auf vielen Halb-Trockenrasenflächen dichte Bestände. Auf solchen Flächen verringert sich die Strukturvielfalt, das Mikroklima wird kühler (Streuschicht) und die Vielfalt der Pflanzenarten geht massiv zurück, besonders der Blütenpflanzen. Das führt zum Verlust vieler der typischen und gefährdeten Arten.
Die Einwanderungsgeschichte der Aufrechten Trespe hat u.a. BORNKAMM 2008/Braunschweiger naturkundliche Schriften/ für Süd-Niedersachsen untersucht und dargelegt. Es ist nicht ganz klar, ob die Gründe dafür allein in unzureichender Beweidung liegen oder ggf. auch in der Erwärmung, Veränderungen der Standorte durch Nährstoffe etc. Die Dominanz der Art führt auf Teilflächen aber mittlerweile offensichtlich zum Zurückdrängen der Blütenvielfalt.
Stickstoffbelastung
Die Belastung mit Stickstoff aus Landschaftschaft und Verkehr führt seit vielen Jahrzehnten zu einer strukturellen Veränderung der eigentlich sehr stickstoffarmen Halb-Trockenrasen. Die Pflanzenmasse wächst stetig besser, damit ändern sich die Konkurrenzverhältnisse zu Lasten der konkurrenzschwachen Blütenpflanzen. Hinzu kommt die Stickstoffbelastung aus der Beweidung, dann nämlich wenn die Weidetiere auf den Flächen auch nachts ruhen. Alleine dieser Faktor ist für die weitere Entwicklung der Flächen sehr problematisch.
Fehlende Konnektivität
Natürlich, auch die Halb-Trockenrasen liegen, wie viele andere noch artenreiche Biodiversitätshotspots zumeist isoliert wie Inseln in der ausgeräumten Landschaft und sie können nicht aus sich selbst heraus überleben. Die dort vorkommenden Pflanzen- und Tierarten benötigen Anschluss an andere Vorkommen, Austausch der Individuen und auch Ausweichmöglichkeiten. Ein extremes Ereignis genügt und Arten verschwinden. So sind 2022 die Pflanzen des Wundklees in der Blüte vertrocknet. Dies hatte einen weitgehenden Einbruch der Bestände des Zwerg-Bläulings zur Folge, die sich bisher nicht erholt haben. Ähnlich geht es einem Widderchen (Zygaena carniolica) auf den von mir beobachteten Flächen. Eine Wiederbesiedlung von anderen weniger hart betroffenen Vorkommen ist mangels Konnektivität dann kaum zu erwarten. Weg ist damit weg.
Unzureichender Schutz
Viele der heutigen Halb-Trockenrasen sind anhand der vorkommenden Vegetation bzw. Biotoptypen scharf abgegrenzte Flächen mit direkt angrenzender hochintensiver Nutzung.
Auf diese Weise gelangen auch Gifte aus direkt angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen in diese Schutzflächen hinein.
Dies wäre nur zu verhindern, wenn bei der jeweiligen Schutzgebietsausweisung direkt angrenzende Flächen mit einbezogen worden wären. Dies ist jedoch oft nicht der Fall.
Dabei werden angrenzende Waldränder und Wiesen, ja auch angrenzende Kalkscherben-Äcker ebenfalls von einer Vielzahl der Arten gebraucht, denn nicht alle Arten der Halb-Trockenrasen können allein auf den Halb-Trockenrasenflächen überleben. Sie benötigen angrenzende Säume, Waldränder und blumenbunte Wiesen im Umfeld. In dem von mir untersuchten Halb-Trockenrasen sind aber genau diese hochgefährdeten Arten angrenzender Säume und Waldränder wie der Veilchen-Perlmutterfalter (C. euphrosyne) oder der Wald-Teufel (E. aethiops) ausgestorben.
All dies blieb und bleibt aber bei der Abgrenzung vieler Schutzgebiete meistens unberücksichtigt, klar, die angrenzenden Bereiche sind eben keine "wertvollen" Biotoptypen. Würde man die Ansprüche der Tierwelt stärker gewichten, hätte man erkannt, dass die Einbeziehung weiterer angrenzender Flächen meistens zwingend erforderlich ist, um die Lebensgemeinschaften in den schutzwürdigen Bereichen dauerhaft zu erhalten.
Klimawandel
Die Trockenheit der Jahre 2018-2022 hat darüber hinaus auch auf den Halb-Trockenrasen Süd-Niedersachsens großen Schaden angerichtet. So sind viele Pflanzenarten, die als Raupennahrung für Schmetterlinge und als Nektarquelle für Wildbienen benötigt werden, in 2022 vorzeitig vertrocknet. Manch eine geschützte Falterart ist seitdem extrem selten geworden, so der Zwergbläuling, bestimmte Widderchen-Arten oder auch der Goldene Scheckenfalter. Seine letzten Bestände sind erstmal zusammengebrochen. Einzelne Falter gibt es noch. Ob dies aber für den Erhalt der ausbreitungsschwachen Art genügt, muss abgewartet werden. Sie hatten keine Chance von den vertrockneten Halb-Trockenrasen auf weniger sonnenexponierte angrenzende Flächen auszuweichen... Doch die Folgen sind nicht pauschal zu greifen. So ist z.B. die Ausbreitung der Aufrechten Trespe möglicherweise eine Folge der Erwärmung, das lokale Aussterben einiger Arten, die die extreme Trockenheit nicht vertragen haben aber auch das Neubesiedeln der Flächen durch andere, oft ausbreitungsstarke und mediterrane Arten gehört dazu, z.B. von zahlreichen Wildbienenarten. Das Bild ist daher kompliziert und nicht einheitlich. Die Artenzahl wird möglicherweise nicht geringer, die Zusammensetzung verändert sich aber sehr stark.
Halb-Trockenrasen sind einer der letzten Lebensräume für eine Vielzahl von Blütenpflanzen in unserer Landschaft. Vor dem Hintergrund der beschriebenen zahlreichen Gefährdungen ist es eine Herkulesaufgabe, durch Beweidung die Blüten- und Insektenvielfalt zu erhalten.
Wenn dann aber nicht genau hingeschaut wird, dann kann sogar die so dringend erforderliche Beweidung ein weiterer Gefährdungsfaktor werden. Blütenpflanzen sucht man nämlich auf viel zu oft und vollständig oder zum falschen Zeitpunkt beweideten Halb-Trockenrasen bei gleichzeitiger starker Vergrasung durch die Aufrechte Trespe vielfach vergeblich bzw. nur in sehr kleinen Vorkommen. Die Folge ist der Schwund der Insektenfauna und der quantitativen Vorkommen wichtiger Blütenpflanzen. Die fehlende Konnektivität bewirkt ein weiteres enormes Problem für das Überleben vieler Tierarten auf diesen Flächen, da Ausbreitung und Wiederbesiedlung nach Störereignissen (die eigentlich meistens eine gute Wirkung besitzen) nahezu unmöglich sind. In der Summe machen es diese Gefährdungen erforderlich, dass das Beweidungsregime je nach Wetterentwicklung auch spontan angepasst werden muss. Es gibt einfach einen immer kleiner werdenden Spielraum für Fehler. Das landwirtschaftliche Fördersystem ist dafür allerdings noch wesentlich zu starr.
Erdrückend ist, dass alle diese bekannten Phänomene im amtlichen Naturschutz fast keine Rolle spielen. Die Schutzgebiete werden räumlich viel zu knapp ausgewiesen (mangelnde Konnektivität) , in den amtlichen Managementplänen zu diesen Schutzgebieten für die FFH-Gebiete werden die meisten Tierarten bei der Frage, wie die Lebensräume erhalten werden, nicht berücksichtigt (auch nicht die vom Aussterben bedrohten Arten), meistens sogar mit keinem Wort erwähnt. Die "Biotoptypen und Lebensraumtypen der FFH-Richtlinie" werden regelhaft auf Halb-Trockenrasen als in hervorragendem Zustand beschrieben (so z.B. im Managementplan für das größte niedersächsische Halb-Trockenrasengebiet Naturschutz- und Landschaftsschutzgebiet WEPER, GLADEBERG und ASCHENBURG). Die Pflanzenarten, die die Definition der Biotoptypen ausmachen, sind ja vorhanden. Das Gegenteil ist aber der Fall, wie die extrem stark schwindenen Insektenpopulationen zeigen. Diesen Flächen und vor allem ihren Lebensgemeinschaften, geht es daher eher schlecht, da die Qualität rapide schwindet.
Es ist eben nicht leicht, die historischen Nutzungsformen, die diese Artenvielfalt gefördert haben, auf kleinen isolierten Flächen nachzubilden und das unter den heutigen Beeinträchtigungen und meistens ohne angemessene Entlohnung. (Stand: 20.07.2024).